Samstag, 23. Februar 2008

Zwei Schweizer auf Pilgerreise

Von Puri fuhren wir mit einem Tages-Nachtzug nach Tirupati, einem Wallfahrtsort der Hindus. Insgesamt waren wir gut 28 Stunden unterwegs, mit einer laeppischen Verspaetung von einer halben Stunde. Fuer die 1231 km lange Fahrt bezahlten wir den Spottpreis von 1062 Rs. (etwa 30 Fr.). Eigentlich wurde uns beschieden, dass der Zug ausgebucht sei, aber es gibt da noch verschiedene Quoten, von denen wir profitieren konnten. Da gibt es einmal die tourist quota, hier werden Sitzplaetze und Betten fuer Touristen zurueckgehalten. Wir dagegen griffen auf die Tatkal-Tickets zurueck. Der Haken an dieser Regelung ist, dass man den ganzen Ticketpreis bezahlen muss sowie einen Zuschlag von 150 Rs. Fuer uns genau richtig, da wir sowieso die ganze Strecke fahren. Was uns ein bisschen stutzig machte war der Umstand, dass diese Tickets erst am Abfahrtstag ausgegeben werden koennen. Geht der Zuschlag wohl in die Tasche des Schalterbeamten? Uns egal, waren wir froh die Nahkampfzone Bahnschalter mit Erfolg verlassen zu koennen.

In Konark, knapp 33 km von Puri entfernt, fand waehrend unserer Anwesenheit ein Dance & Music Festival statt. Bzw. wir aenderten unsere Plaene so, dass wir den ersten Tag mitverfolgen konnten. Dies hat sich absolut gelohnt, denn die Taenze in Orissa gehoeren klar zu den Highlights kultureller Veranstaltungen. Organisatorisch hatte die Veranstaltung zwischendurch das Niveau einer Schuelerauffuehrung, aber kuenstlerisch war es erste Klasse. Als wir zwei Stunden vor Beginn auf dem Gelaende aufkreuzten, wurden gerade die Ornamente am Eingangsbogen festgeklebt. Auch ueber die Anfangszeit gab es grosses Raetselraten. Offiziell hiess es 6.45 pm, doch wir hoerten auch 5.30 pm oder 7 pm. Die Laenge der Auffuehrungen wurde mit 2 Stunden angegeben, tatsaechlich dauerte es dann knapp dreieinhalb Stunden. Die Ehrungen der Organisatoren und Goenner mit Schals, Gedenktafeln und einer Blume in Glitzerfolie nahm viel Zeit in Anspruch. Die Taenzerinnen und Taenzer waren sehr ausdrucksstark, anmutig, aber auch sehr dynamisch und athletisch. Auch ein Tablaspieler zeigte uns einen kleinen Einblick in sein Repertoire. Eher in die Abteilung Pausenunterhaltung gehoerten die Dankesreden der Kuenstler auf Englisch.

Wie wir gelesen haben, gilt Tirupati als groesster Pilgerort der Welt. So zieht er beispielsweise mehr Glaeubige an als der Vatikan oder der muslimische Pilgerort Mekka. Jeden Tag treffen mehrere 10'000 Hindus ein, welche zum Venkateshvara Tempel (auch Sri Vari genannt) auf den Tirumala Hill pilgern.

Bereits am Bahnhof fielen uns die vielen Menschen auf, die schlafend, doesend oder sitzend mit "Sack und Pack", "Kind und Kegel" auf einen Zug warteten. Soeben angekommene Pilger hasteten mit ihrem Gepaeck meist zu einem Bus, der sie direkt zu einer Pilgerherberge auf dem Tirumala bringt. Auf Grund unserer Erfahrungen in Pilgerherbergen vor drei Jahren in Amritsar entschlossen wir uns, ein Hotel im Ort zu suchen. Dies war wiederum gar nicht so einfach, obwohl es ein sehr grosses Angebot an Unterkuenften in Tirupati gibt. Aber fuer uns Westler etwas passendes aus dem Angebot von spartanischem, feuchtem "Kellerloch" ohne Fenster, ueber Schmuddelzimmer, wo die Bettwaesche wahrscheinlich nur einmal im Monat gewechselt wird bis hin zu teuren Luxushotel mit Privatbutler auszuwaehlen, war wirklich gar nicht so einfach.

Noch am Abend wollten wir uns ueber die Besucherbestimmungen fuer den Tempel erkundigen, da die Angaben im Reisefuehrer fuer einmal minimal waren. Dies war wiederum ein spezielles Unterfangen, in einer Stadt, wo die meisten Menschen nur einen indischen Dialekt und die Nationalsprache Hindi sprechen. Schliesslich fanden wir in einer riesigen Pilgerherberge einen Angestellten, der uns das System des Dasham Ticket verstaendlich erklaeren konnte. Mit diesem Ticket kann man ein stundenlanges Anstehen vor dem Haupttempel vermeiden. Der Haken an diesem Ticket ist nicht sein Preis (50 Rs), sondern die Ausgabe. An drei Orten in der Stadt kann das Ticket ab fuenf Uhr morgens erworben werden. Wenn die etwa 10'000 Tickets weg sind, gibt es fuer diesen Tag keine weiteren mehr. Wie bei einem Konzert. Normalerweise sei dies so gegen 8.00 Uhr der Fall. Auf dem Rueckweg zum Hotel wollten wir uns den Schalter beim Bushof anschauen, damit wir ihn auch schlaftrunken finden.

Der Weckdienst im Hotel funktionierte, um halb fuenf haemmerte es an unsere Tuer, so als wollte er gleich das ganze Hotel wecken. Als wir fuenf Minuten spaeter immer noch im Zimmer waren, wurde erneut gegen die Tuer gehaemmert. Kurz vor fuenf Uhr erreichten wir den Ticketschalter und reihten uns ein. Lange bewegte sich nichts, zehn Minuten, fuenfzehn, zwanzig, die ersten Pilger verlassen die Schlange und versuchen ihr Glueck an einem der anderen zwei Schalter, fuenfunzwanzig Minuten, eine halbe Stunde. Ein Offizieller kommt aus dem Buero und sagt etwas. Da ich nur das Wort Computer verstehe, fragen wir unsere Nachbarn vor uns. Sie haetten ein Computerproblem, die Ticketausgabe verzoegert sich noch. So gegen sechs Uhr kam Bewegung in die Schlange und es ging vorwaerts. Doch bis wir unsere Tickets in den Haenden hatten, dauerte es nochmals einen gute Stunde. Einige der Pilger hatten schon beim Betrachten des Tickets einen seeligen Blick. Wohl so aehnlich, wie Teenager beim erfolgreichen Kauf eines Tokio Hotel Tickets oder die ein bisschen aelteren fuer ein Robbie Williams Konzert. Beim uns stellte sich beim Betrachten des Papieres kein spezielles Gefuehl ein, am ehesten noch Erleichterung, dass wir nun fruehstuecken koennen. Bei der Ausgabe wird man fotografiert und haelt die Spitze des Zeigefingers auf ein blinkendes Kaestchen. Fuer was das gut sein soll?

Tirumala, das man entweder mit dem Bus oder ueber den vierstuendigen Pilgerweg erreicht, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer eigenen Stadt mit Hotels, Pilgerherbergen, Restaurants, Shops mit allem moeglichen Pilgerbedarf. Aber auch eine Schule und ein Spital hat es dort. Besonders eifrige Pilger lassen sich den Kopf scheren, weil dies ein Zeichen von Froemmigkeit ist. Was uns besonders ueberraschte war, dass sich auch Frauen den Kopf scheren lassen. Ein spezielles Bild, eine indische Frau ohne ihr praechtiges schwarzes Haar, sondern mit einer Glatze. Aber auch die Haare von Kindern mussten dran glauben. Dass es die Friseure mit dem Rasieren nicht so genau nehmen, bezeugen die vielen Wunden an den Koepfen. Kein Wunder haben die Hut- und Kappenverkaeufer die groessten Staende.

Auf dem Ticket steht die Zeit, wann man sich beim Tempel einfinden soll. Eine Stunde vor dieser Zeit kann man herein, nicht frueher, wie wir feststellen mussten. Um den Tempel betreten zu koennen, muss man alle elektronischen Geraete und auch die Schuhe abgeben. Als wir die Kamera und Mobiles abgeben wollten, fummelte der am Schalter in meiner Kameratasche herum. Aus Reflex klopfte ich ihm auf die Finger und er arbeitete dann weiter, wie wenn nichts geschehen waere. Ist also ueblich so und ich musste mich nicht entschuldigen. Barfuss gings dann weiter Richtung Tempel. Zuerst einmal durch eine Slalomabschrankung, bevor wir nochmals abgetastet wurden, erst danach erreichten wir den Tempel. Wobei es vorlaeufig einmal durch verwinkelte Gaenge ging, die auf der Seite mit Gittern abtrennt waren. Wir fuehlten uns wie Tiger die in die Zirkusmange gefuehrt werden. Sicher nichts fuer Leute mit Klaustrophobie. Nach etwa zehn Minuten wurde unsere Schlange, in der sich die meisten anstaendig benahmen und nicht draengelten mit einer anderen Menschenschlange zusammengefuehrt, die wohl ohne Ticket anstanden. In dieser Schlange wurde deutlich mehr gedrueckt und geschoben. Zusammen ging es Treppen rauf, dann wieder runter (immer noch im "Gitterkanal"!), vorbei an fliegenden Haendlern mit Getraenken (guter Geschaeftssinn), alle Gepaeckstuecke wurde nochmals geroengt (doch niemand schaute auf die Monitore), erst dann erreichten wir den eigentlichen Tempel. Bereits vor dem Anblick der Vishnustatue im zentralen Heiligtum waren einige Pilger um uns herum der Extase nahe. Doch Tempeldiener verhinderten, dass Glaeubige zu lange vor der Statue verharren und zerren uns an den Armen weiter. Danach haetten wir noch weitere Tempel besichtigen koennen, doch wir hatten fuer heute genug. Der Weg zum Ausgang fuehrt noch an den Spendenschalter vorbei. Welche moderner ausgeruestet waren als so manche Bank! Auch hat Tirumala wohl die hoechste Dichte an Bankomaten von ganz Indien. Auch auf das "Abendmal" und die abschliessende Gratismahlzeit, was allen Pilgern abgegeben wird, verzichteten hoeflich. Wobei wir einen Teil des Abendmals an unseren Fuessen klebend mit ins Hotel nahmen. Denn das Haeufchen des suessen Ginger-Klebreises, war wohl nicht jedes Pilgers Geschmackssache, sodass die naechsten 20 Meter nach der Ausgabe eine ziemlich klebrige Angelegenheit waren.

Die Vishnufigur im Venkateshvaratempel sieht ein bisschen aus wie Darth Vader aus Star Wars. Bereits fuer die Figuren von South Park holte sich Hollywood die Inspiration in Indien, naehmlich beim schwarzgesichtigen Gott Jagannath und seinen Geschwistern Balabhadra und Subhadra, die besonders in Orissa sehr beliebt sind.

Patrik und Bettina