Montag, 11. Februar 2008

Varanasi - heilige Stadt am Ganga

Varanasi, die heiligste Stadt der Hindus, ist Ziel vieler Pilger, um an den steinernen Ghats (Treppen) ihre rituellen Waschungen im Gangeswasser durchzufuehren. Die Stadt ist eine der aeltesten ununterbrochen bewohnten Staedte der Welt. Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. steht sie im Mittelpunkt der hinduistischen Glaubenswelt. Der Fluss Ganges wird als wohltaetige Goettin Ganga personifiziert. Der Ganges gilt als amrita, jenes Elixier, das den Lebenden Reinheit und den Toten Erloesung bringt. Hier zu sterben und verbrannt zu werden, eroeffnet Zugang zum svarga (Himmel) und bringt Erloesung vom Kreislauf der Wiedergeburt. Deshalb kommen viele aeltere Menschen zum Sterben hierher. Doch die vielen Schwermetalle lassen ein Bad keinesfalls ratsam erscheinen. Dazu kommen die menschlichen Ausscheidungen und die ungeklaerten Abwaesser weiter flussaufwaerts gelegener Fabriken. Ob sterilisiertes Gangeswasser noch die Kraft hat, von Suenden zu reinigen, ist umstritten. Derzeit ueberwiegt die Meinung, dass Abkochen zulaessig ist, nicht jedoch eine chemische Behandlung.

Varanasi ist der einzige Ort, den wir in Indien besuchen werden, welchen ich bereits auf meiner ersten Indienreise vor elf Jahren bereiste. Es gibt wohl kaum einen vergleichbaren Ort auf der Welt. Das Gewuehl in der Altstadt mit seinen schmalen Gassen, wo man sich an Kuehe vorbeidraengen muss, das rege Treiben an den Ghats und die internationales Atmosphaere in den Hotels und Restaurants. Wir sind im gleichen Hotel bzw. Rest House abgestiegen wie vor elf Jahren. Es ist wie eine ruhige Oase hoch ueber den Ghats mit einem schoenen Innenhof und Dachterrasse. Ein guter Ort, um sich von der Hektik zu erholen.

In der Altstadt sind die Gassen etwa eineinhalb, manchmal etwas schmaler oder breiter. Klar, dass Rikschas in diesem Bereich nicht erlaubt sind. Weniger klar ist aber fuer uns, warum Fahrraeder und sogar Motorraeder erlaubt sind. Immer wieder hoert man ein Hupen hinter sich, weil ein Motorrad ueberholen moechte. Dies ist gar nicht so einfach, da man als Fussgaenger darauf achten muss, nicht in einen der vielen Kuhflaeden zu treten. In keiner Stadt hat es wohl so viele Kuehe, Stiere und Wasserbueffel wie hier. Da von den Kuehen viele schwanger sind, ist das Passieren der Tiere doppelt schwierig. Auch gilt es auf allfaellige unerwartete Bewegungen des Kopfes zu achten. Doch die Tiere sind viel ruhiger als unsere Kuehe, da sie nur das Leben in der Stadt kennen. Dank ihnen gibt es hier kaum Ratten, denn sie fressen alle organischen und manchmal andere Abfaelle. In diesen Gassen befinden sich unzaehlige kleine Shops, an denen vor allem Bettina ihre Freude hat. Im Gegensatz zu unseren Erwartungen sind viele Besitzer gar nicht aufdringlich und lassen einem mehr oder weniger in Ruhe herumstoebern. Schon mehrmals sind wir aus Shops oder von Staenden davongelaufen, als die Besitzer zu aufdringlich wurden.

Entlang des Ganga befinden sich unterhalb der Villen, Palaeste und Tempel aus dem 18. und 19. Jahrhundert die Ghats. Jede der etwa 100 kleineren oder groesseren ghats besitzt einen Lingam (Phallussymbol, mit dem Shiva identifiziert wird). Jedes Ghat hat fuer die Glaeubigen eine spezielle Bedeutung. Manche sind im Zerfall begriffen, andere geniessen regen Zulauf. Neben den Pilgern saeumen auch Dhobiwallahs (Waescher) die Ghats. Wer schon einmal einem indischen Waescher zugeschaut hat, ueberlegt sich zweimal, ob er seine Waesche wirklich einem Dhobiwallah anvertrauen soll. Zuerst wird die Waesche im Gangeswasser aufgeweicht, dann mit Seife eingeschaeumt und wieder ausgewaschen. Danach wird die Waesche im wahrsten Sinne des Wortes weichgeklopft:mit Schwung wird das gute Teil auf einen grossen, flachen Stein geknallt, um den Dreck herauszuschleudern. Zum Trocknen wird die nasse Waesche auf die Treppen, ein Gelaender oder die "Wiese" gelegt. Ein Buegler versieht jedes Teil mit messerscharfen Buegelfalten. Dazu benutzen sie teilweise um allfaelligen Stromausfaellen zu trotzen Buegeleisen mit heissen Kohlen.

Das wichtigste Krematorium Varanasis ist das Manikarnika Ghat. Normalerweise liegen Verbrennungsstaetten vorborgen am Stadtrand, nicht so in Varanasi. An der Ghat finden rund um die Uhr Einaescherungszeremonien statt, durchschnittlich 200 pro Tag. Doms, die unberuehrbaren Totenwaechter, bauen einen Scheiterhaufen auf. Je nach Vermoegen des Verstorbenen ist dieser mehr oder weniger hoch. Auf einer Bahre wird der in einem Leinentuch verpackte Leichnam, geschmueckt mit Goldfolie und orangen Ringelblumen, zum Ganges getragen, um ins heiligen Wasser getaucht zu werden. Der aelteste Sohn hat sich den Kopf und Schnauz (fast alle Maenner tragen einen Schnauz, der traditionellerweise erst nach dem Tod der Eltern rasiert wird) rasieren lassen und ein weisses Leinentuch um die Huefte und die Schultern angezogen. Ihm gebuehrt die Ehre, den Scheiterhaufen mit heiligem Feuer aus einem Shivatempel in Brand zu stecken. Nach drei Stunden ist der Leichnam verbrannt und die Asche wird in einem weiteren Ritual dem Ganges uebergeben. Am Ghat gehen noch weitere Maenner ihren fuer uns kaum vorstellbaren Berufen nach: sie durchsuchen die Asche des Scheiterhaufens nach (Zahn-) Gold und Silber. Kinder, schwangere Frauen und arme Menschen werden nicht verbrannt, sondern in einem mit Steinen beschwerten Sack direkt dem Fluss uebergeben. Manchmal reichen die Steine nicht aus, um den Leichnam absinken zu lassen.

Neben den Ghats bietet Varanasi eigentlich keine touristichen "Highlights". Im Sueden der Stadt liegt das Fort Ramnagar, das ein typisch indisches Museum beherbergt. Lieder war es nicht erlaubt, zu fotografieren. Nicht, dass die Ausstellungsstuecke besonders erwaehnenswert waeren, interessant ist der Zustand der Objekte. Zu Beginn des Rundgangs standen ein paar Kutschen und Oldtimer, von den Besuchern durch ein Gitter abgetrennt. Sie waren voller Staub, in einer Windschutzscheibe sah man einen Durchschuss von einer Kugel, ein Hinterreifen war platt, bei einem der alten Auto fehlte der Kuehlergrill und die Scheiben der Frontlichter. Den groessten Teil der Sammlung nimmt wie ueblich die Waffenausstellung ein. Gewehre, Duellpistolen, Dolche, Saebel, Lanzen, ein Mann in Uniform mit Gasmaske, ... waren zu betrachten. Aus unserer Sicht der Hoehepunkt waren die ausgestopften Tiere: ein Krokodil, ein Tigerfell und ein asiatischer Baer. Der Panzer des Krokodils blaetterte am Ruecken ab, das Tigerfell hatte bedenklichen Haarausfall und der Baer hatte an den Vorderbeinen ueberhaupt keinen Pelz mehr. Den Schluss bildeten Gemaelde der Maharadschas. Da die Inder alles anfassen, sind die Bilder hinter Glas, wobei sie Restenglas benutzten, auf dem die Markierungen der Glasfabrik noch sichtbar waren.

Da der Fussmarsch zurueck zu unserem Hotel ueber eine lange Bruecke und dann ueber eine Kuhweide fuehrt, wollten wir mit einem Boot zurueckfahren. Nachdem wir den Preis ausgehandelt hatten, wurde uns ein alter, zerbrechlicher Mann mit einem Boot fuer 20 Personen zugewiesen. Oft fuehrt an Rikscha- oder eben Bootsstaenden der einzige, der Englisch spricht die Verhandlung und teilt dann zu. Schon bald stellten wir mit Entsetzen fest, dass der alte Mann viel zu wenig Kraft fuer das grosse Boot hat, zumal es gegen die Stroemung ging. Er griff nicht zu den Rudern, sondern nahm eine lange Stange und versuchte uns am Ufer entlang stossend fortzubewegen. Dies ginge eigentlich noch, wenn nicht sein Stoehnen gewesen waere, das sich wie die letzten Atemzuege anhoerten. Zum Glueck fanden sich dann ein Mann (schwarze und verfaulte Zaehne!) und ein Knabe (strahlend weisse Zaehne!), welche die Hauptarbeit uebernahmen, waehrend sich der Alte (keine Zaehne!) am Heck sitzend aufs Steuern beschraenkte. Wir taten auch unseren Teil, um die Ruderer zu erloesen und nannten ein naeheres Ziel. Selbstverstaendlich gaben wir den vereinbarten Preis sowie ein Bakschisch. Auf dem Rueckweg entlang der Ghats wurden wir immer wieder angesprochen, ob wir ein Boot mieten moechten, doch unser Bedarf fuer den Tag war mehr als gedeckt.

In Varanasi findet man allerlei kulinarische Leckerbissen, vor allem wurde unsere Sehnsucht nach Kaese ein bisschen gestillt. In der Braown Bread Bakery hatten wir sogar ein Kaesefondue! Das mit einheimischem Kaese zubereitete Fondue schmeckte uns besser als manches Fondue, das wir in der Schweiz hatten. Diese Baeckerei hat ueber 30 Kaesesorten im Angebot, alles einheimische Produkte, jeodch mit internationalen Namen. Die Schweiz war mit Emmentaler, Gruyere und Swissly (war Tilsiter) vertreten. Beim Emmentaler fehlten jedoch die Loecher! Das Fondue kostete den stolzen Betrag von 150 Rs. pro Person. Sind zwar nur knapp 6 Fr., doch dafuer koennen wir in einem guenstigen indischen Lokal beide mit Vorspeise und Getraenken essen. Auch sonst haben wir in keiner indischen Stadt so gut gegessen wie in Varanasi, ebenso konnte der Koffeinspeicher (Espresso, Latte Macchiato,...) wieder einmal nachgefuellt werden.

An unserem Abreisetag fand eines der zahlreichen Hinufestivals statt. Bereits vorher wurden in einigen der Gassen Puppen aus Pepiermache einer Goettin aufgestellt und reich verziert. Unter dem Klang von Trommeln trugen meist junge Maenner die Puppen zum Fluss, wo sie auf ein Boot verladen wurde. Dabei brachen bei der einen oder anderen Figur schon einmal eine Verzierung ab. Gleichzeitig liessen sich viele Paare an diesem Tag vermaelen. Der Braeutigum trug, wenn er es sich leisten konnte, die Kleidung eines Maharadjas. Den entsprechenden Turban trugen auch die anderen Heiratswilligen. Die Braut war reich geschmueckt, mit Henna bemalten Haenden und Fuessen, versteckte ihr Gesicht gern hinter einem Schleicher. Auffallend war bei einigen Paaren der Altersunterschied zwischen Braeutigam und Braut. Wegen der Festlichkeiten hatten wir dann Muehe, aus der Altstadt zum Bahnhof zu kommen, da die Strassen noch verstopfter waren als sonst. Doch unsere Aufregung war umsonst, weil unser Zug mit dreistuendiger Verspaetung eintraf, die wir frierend auf dem Perron verbrachten. Unser Ziel erreichten wir zwanzig Stunden spaeter, mit fuenf Stunden Verspaetung. That's India!

Patrik